Beitrag zur November-Blogaktion des Totenhemd-Blogs
Wenn ich könnte wie ich wollte: Dann würde ich an meine verstorbenen Großeltern denken, in dem wir alle zusammen einen großen Poetry Slam abhalten. Und als Siegprämie gibt es nicht eine Flasche vom mittlerweile beim Poetry Slam weithin üblichen Irischen Whiskey, sondern ne Flasche Metaxa Brandwein, denn den mochte Opa Hugo am liebsten.
Beim Poetry Slam treten Dichterinnen und Dichter – Wortakrobatinnen und -akrobaten – gegeneinander an, indem sie jeweils ihre Texte innerhalb einer bestimmten Zeit vortragen und das Publikum entscheidet anschließend über den besten Vortrag.
Eine Spezialform des Dichterwettbewerbs ist der „Dead or Alive“-Slam. Hier treten höchstlebendige Poetinnen und Poeten gegen die Werke von bereits toten Textschaffenden an. Was beide Slam-Formen gemeinsam haben:
Poetry Slam ist eine Kunst.
Gedichte vortragen und das Publikum davon begeistern ist eine Kunst.
Das richtige Wort an der richtigen Stelle ist eine Kunst.
Ein Satz, der dem Publikum in Erinnerung bleibt, ist eine Kunst.
Eine Wahrheit zwischen den Zeilen verstecken ist eine Kunst.
Und zum heutigen Zeitpunkt muss ich sagen: In dieser Hinsicht waren meine Großeltern dann wohl ebenfalls Künstlerinnen und Künstler.
Und auch ich bin – vielleicht dadurch – eine Freundin nicht nur von Bildern sondern auch von Sprache geworden: Ein richtiges Wort zur richtigen Zeit? Ein Ausdruck, der eine Situation genau beschreibt? Ein Motto, das jemanden motiviert? Gefühle in Sprache wandeln? Oder einfach ein Gedicht, um Struktur in die eigenen Gedanken zu bringen? Unsagbares sagbar machen? Das ist es! Das ist wahre Kunst!
Wenn ich also könnte wie ich wollte: Dann würde ich an meine Toten denken, in dem wir alle zusammen einen großen Poetry Slam abhalten und diese Kunst feiern, die meine Großeltern für mich in der Erinnerung lebendig hält!
Bei diesem Slam würde meine Oma Anna den Satz sagen, den sie vor jedem Urlaub gesagt hat: „Kummet widder wir er gen.“ (Für alle nicht des Badischen mächtigen: „Kommt so wieder, wie ihr geht.“) – und damit ihre Sorge ausdrücken und vielleicht auch ihr Erstaunen, dass ihre Enkel in aller Herren Länder reisen und das heimische Dorf im Schwarzwald verlassen.
Und wenn ich auf die Bühne treten und dabei vielleicht ein kleines Lied summen würde, käme liebevoll von meinem Opa Walter der Satz: „Ah guck, da ist sie wieder, die Nachtigall!“
Dort auf der Bühne müsste ich mich dann aber mit dem wahren Dichterfürst messen: Meinem Opa Hugo. Der ist dafür verantwortlich, dass seine Enkelinnen und Enkel noch heute „Lumpeliedle“ (zu deutsch: Lumpenlieder, also etwas zweideutige und bestimmt weder sehr pädagogisch wertvolle noch politisch korrekte Volksweisen) auswendig können. Außerdem können wir auf Kulturgut zurückgreifen, wie das Nonsense-Gedicht: „Dunkel war´s, der Mond schien helle, als ein Auto blitzeschnelle langsam um die runde Ecke bog…“ und Gedichte in Mundart, die sich auf jeder Weihnachtsfeier bis heute noch gut machen: „Es dunklet scho im Dannewald un s schneielet ganz liesle…“ („Es dunkelt schon im Tannenwald und es schneit ganz leise…“).
Und ganz zum Schluss würde meine Oma Gertrud ihre letzten Worte sagen, die sie kurz vor ihrem Sterben an meine Cousine gerichtet hat:
„Also dann: Alles Gute und gut´ Nacht.“
Und damit ist ja dann auch alles gesagt.
Kommentar schreiben
petra ulbrich (Samstag, 19 November 2016 10:45)
Dankeschön für diese wunderbare Hommage.
Chrissy (Samstag, 19 November 2016 16:29)
Just one Word: L-O-V-E
Petra Schuseil (Sonntag, 20 November 2016 10:41)
Liebe Regina, großartig ... das dürfte Annegret auch sehr gefallen, von wegen Poetry Slam.
Gleichzeitig hab ich was gelernt über den "Dead or Alive"-Slam ... schöne Herausforderung. Danke, dass Du bei uns warst und mitgeschrieben hast. Sehr sehr bereichernd.
HG
Petra
Regina (Sonntag, 20 November 2016 20:07)
Vielen Dank für die lieben Rückmeldungen zum Blogeintrag - hier in den Kommentaren und über andere Kanäle! Ich hatte ein sehr schönes Wochenende mit den Lebenden und den Toten! ;-)
Annegret Zander (Sonntag, 20 November 2016 22:18)
tut mir in der tat gefallen, hach!
danke dir sehr,regina!
viele grüße annegret